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Interview mit Rafael Capurro

Interview mit Rafael Capurro

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Abschlussberichte > Abschlussbericht 6. Initiative > Interview mit Rafael Capurro


Prof. Rafael Capurros Forschungsschwerpunkt bildet die durch die Informationstechnologie herbeigeführten gesellschafltichen Veränderungen in unterschiedlichen Kulturen mit besonderer Berücksichtigung der ethischen, ökonomischen und politischen Fragen. Rafael Capurro, ist Prof. (em.) an der Hochschule der Medien Stuttgart (HdM), Direktor des Steinbeis-Transfer-Institut Information Ethics (STI-IE), Präsident des International Center for Information Ethics (ICIE) und Distinguished Researcher in Information Ethics, School of Information Studies, University of Wisconsin-Milwaukee, USA. Zudem ist Prof. Capurro Editor-in-Chief der International Review of Information Ethics (IRIE).

Das Interview führte Gero Nagel.


Inhaltsverzeichnis

Wie definieren Sie "Innovation"?

Üblicherweise wird zwischen Innovation, also Erneuerung, und Erfindung unterschieden. Der klassische Unterschied zwischen der Erfindung und der Innovation ist der Markt. Bei der Innovation ist es nicht nur das Neue (wie bei der Erfindung), sondern das Produkt, dass sich vermarkten lässt. Sie patentieren eine Erfindung, aber nachher müssen Sie diese umsetzen, sodass daraus ein Produkt wird, dass sich auf dem Markt bewährt. In der Innovation reden Sie nicht nur von der Idee, sondern von der konkreten, materiellen Gestaltung eines Produkts und von der Akzeptanz und auch von der Vermarktung. Es ist immer verbunden mit Unternehmen und Management, weil das sind die Rahmen, in denen die Innovation umsetzen. Das Entscheidende ist, dass das Produkt sich auf dem Markt bewährt. Natürlich ist es so, dass dabei das Neue eine Anomalie bedeutet gegenüber dem Alten.

Innovation im digitalen Ökosystem
Inhaltsverzeichnis
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Das Wort Anomalie hat etwas zu tun mit dem Üblichen, mit dem Nomos, das Neue und das Übliche. Eine Anomlie ist etwas, das dem Üblichen widerspricht. Etwas, das fast wie ein Fehler aussieht. Daher kommt auch das Problem der Innovation, dass das, was sich als neu darstellt gegenüber dem Bewährten, erstmal durchsetzen muss. Dabei muss man sehen, das die Innovation nie nur ein Produkt ist, sondern dieses Produkt in eine Lebenswelt eingebettet ist. Wenn die Innovation diese Lebenswelt stark in Frage stellt, also eine Anomalie bedeutet, dann entsteht eine große Unsicherheit. Der Innovator hat nicht nur eine Idee, sondern führt Sie auch weiter und in einem Gegenstand verwirklicht, materialisiert. Die Materialisierung der Idee ist die Innovation - und zugleich auch eine Vorstellung aus der altgriechischen Philosophie. Dass die Ideen in der Welt eine Materie annehmen und neu formiert werden. Die Innovation kann man also aus zwei Seiten sehen, von der des Innovators, wie auch die, von denen, die es nutzen sollen. Der Innovator muss sehen, das wenn das, was er oder sie schafft, eine sehr starke Anomalie darstellt für die Welt, auf Widerstand stößt. Für den Innovator steht das neue über dem Gewohnten. Innovationen passieren zum Teil in Miniwelten, die sich verändern - und manchmal kreiiren Innovationen auch große Abhängigkeiten, wie in dem Buch "Broken Technologies" beschrieben wird. Wenn wir etwas erfinden (und in der Innovation umsetzen), erfinden wir immer auch eine neue Lebenswelt mit.

Was ist ein "digitales Ökosystem"?

Schon der Begriff scheint widersprüchlich. Das Digitale als Teil unseres Lebens, des Oikos (gr. für Haus). Das Haus von heute ist maßgeblich durch das Digitale bestimmt. Es stellt sich dann die Frage, wie dieses Haus gestaltet ist und welchen Bedingungen wichtig für den Erhalt sind. Ein Ökosystem in der Natur, aber auch in der Architektur oder allen anderen Ökosystemen ist jeweils von sehr vielen Faktoren abhängig (Regen, Boden, Sonne, Wasser, …) und dies auch im Bau (Material, Untergrund, …) oder überall sonnst. Alle Ökosysteme werden mittlerweile sehr stark von Technologien bestimmt. Wo treten Anomalien ein im digitalen Ökosystemen? Was wäre, wenn das, was so alltäglich ist, nicht mehr funktioniert? Ist das, was alles gut verläuft überhaupt gut? Das ist ja eine ethische Frage. Was wäre eine Anomalie im digitalen Ökosystem, in dem wir leben? Was passiert bei Ausfällen von Technologien, die für unser "digitales Ökosystem" verantwortlich sind? Was passiert, wenn im Großen durch Terroranschläge, die z.B. unsere Elektrische Versorgung unterbrechen, aber auch im Kleinen, durch einen Kurzschluss. Welche Arten auch immer an Anomalien stattfinden, könnten wir damit leben, mit den Gedanken, solche Anomalien könnten passieren? Solche Anomalien deuten darauf hin, dass wir etwas in den Gewohnheiten, in denen wir eingebettet sind, als selbstverständlich erachten, und das wir eigentlich thematisieren müssten, explizit machen. Das explizit machen von Selbstverständlichkeiten wäre die ethische Aufgabe. Man lebt nicht einfach vor sich hin, sondern man versucht herauszufinden, ob die Selbstverständlichkeiten, also ob der Ethos, die Gewohnheiten in der Tat so sind. Im Falle von den digitalen Informationssysteme kann man das sowohl in der Software, als auch in der Hardware sehen. Auf der Seite der Software, sieht man ja, dass seit 15, 20 Jahren, als das alles anfing war das noch eine Euphorie ohne Grenzen in Bezug auf das, was damals eingebrochen ist. Und allmählich sieht man hier und da die Anomalien, wie im Jahr 2000, als die Jahrezahlen Probleme gemacht haben. Das waren Anomalien, wo man sagt, das System steht auf wackligen Füßen. Inzwischen ist das Alltag, von Spam bis hin zu Viren und zum Cyberwar. Man merkt, dass das System Schwachpunkte hat. Das andere ist die Materialität. Die Software, über die wir die ganze Zeit reden, hängt ja nicht in der Luft, sondern braucht ja auch Strom und Materialen, welche auch immer, wo sich die Einsen und Nullen einprägen lassen. Diese Materialität hat eine große Auswirkung, wenn man sie dann im großen Rahmen sieht, wenn alle Lebensbereichen dadurch betroffen werden. Und zwar rein ökologischer Art. Was passiert mit all diesen Geräten, die nicht nur Computer sind, sondern allemöglichen Geräte, die mit digitaler Technologie arbeiten. Und die werden immer mehr und immer mehr. Was passiert dann, wenn sie weggeworfen werden? Also die materielle Seite der Informationsgesellschaft. Und ich glaube, da besteht Handlungsbedarf, des ethischen Nachdenkens, weil viel elektronischer Müll nach Afrika transportiert wird. Wir können nicht einfach sagen, wir leben hier in unserem Ökosystem wunderbar und das, was uns nicht passt, verschicken wir dann nach Ghana und lassen dann da die Kinder die Materialien sortieren. Diese Ökologische Problematik ist noch weitgehend ungelöst, weil wir uns zum Teil am Anfang der Entwicklung stehen. Die Massenhafte Verbreitung von Computern und Handies, millardenhafte Verbreitung auf allen Ebenen, die auch eine gewisse Lebensdauer haben, von 3 oder 6 Monaten. Was passiert in China? Schmeißen sie dort alle Handies und Computer in den Yangtze? Was passiert damit? Ich glaube, dass es eine wichtige Sache ist, wo sowohl Erfindung als auch Innovation gebraucht wird. Es gibt inzwischen auch Firmen die sich damit spezialisieren, Materialien zu sortieren hier in Europa - und fast pervers die Reste dann in die dritte Welt Länder exportiert werden. Also, das Recycling-Problem. Wir leben im Überfluss, aber dieser Überfluss stellt gewisse Fragen, wie "was passiert mit dem Müll?"

Wie verändert Innovation unser Leben? Was wird sich noch verändern?

Das ist schon eine ethsiche Frage, weil das geht ins Selbst sein. Wer bin ich? Natürlich habe ich andere Möglichkeiten, Anerkennung oder Achtung von anderen Leuten zu erhalten, in einer Welt, die medial bestimmt ist, als in einer klassischen Welt, in der die Medien sehr stark eingeschränkt waren von einem bestimmten Personenkreis. Wer bin ich in dem sozialen Spiel? Das verändert sich schon sehr stark, weil ich jetzt die Möglichkeit habe mich anderen zu zeigen in ganz anderen Maßstäben, als es früher der Fall war. Und Früher meint nicht so lange her. In den 70er Jahren, habe ich nie gedacht, dass ich mich anders darstellen kann, als ich einen Artikel in einer Fachzeitschrift veröffentlichen und dann ein Jahr warten, ob jemand das zitiert hat. Zu einem veröffentlichten Buch ist irgendwann eine Rezension erschienen. Das hat Jahre gedauert. Das ist für das Selbstsein, als das "Wer bin ich", die Identitätfindung schon eine Erschütterung. Wenn Sie an Facebook denken, ist das schon eine immense Innovation. Warum tun die Menschen das? - Ganz einfach, es kostet nichts und die Menschen haben eine sofortige Befriedigung und Anerkennung. Auf einmal haben Sie innerhalb von ein paar Stunden oder Tagen 100 Freunde. Wenn Sie 16 Jahre alt sind, und sich danach lechzen Anerkennung zu bekommen, haben Sie ein System und stellen Fotos dar - und siehe da, "I like you". Viele wissen, dass es zum Teil Humbug ist, denn Freundschaft ist nicht Facebook - und warum soll man persönliche Daten an amerikansiche Firmen verschenken? Was passiert mit den Gewohnheiten der Firma, die dies mir aufzwingt? Die Moralische Codes, die sie haben. Dies darfst du nicht tun und jenes sollst du tun. Das ist eine sehr amerikansiche Moral. Diese Gesellschaft, die keine Demokratische Legitimation hat, sondern nur Zuckerberg und Co. als sozialen Regeln gefällt. Das lässt man sich alles gefallen. Die Antworten auf die Problematik "Wer bin ich?" (nicht "was bin ich?") ist nicht eine isolierte Frage, nicht los von der Welt und den anderen, sondern es hat eine soziale Komponente, mit Anerkennung und (Ver)achtung mit vielen Zwischenstufen. Das in der digitalen Vernetzung total neu, weil der Umfang und die Schnelligkeit fast unvergleichbar ist, mit dem, was früher gewesen ist. Bücher wurden zwar auch weltweit verteilt und unterlagen keiner Zensur, aber es war eben bezogen auf großen Werken. Die Freiheit war bezogen auf die freie Zugänglichkeit von wissenschaftlichen Werke. Es war eine gelehrten Republik. Heute ist es nicht nur die Gelehrtenrepublik, sondern generell. Die Anerkennung bezieht sich noch auf ganz andere Ebenen, als nur die Akademische, sondern auch die ganz banalen Dinge. Ich glaube schon, dass wir am Anfang einer Entwicklung sind. Auf der anderen Seite, leben wir in dieser digitalen Welt. Auf der anderen Seite dieser digitalen Welt steht noch die reale Welt. Derjenige, der ich bin. Man identifiziert sich über die Daten, die ich in die digitale Welt eingebe. Das Was dieser Daten bestimmen, wer ich bin. Die Daten haben immer eine Form der Verdinglichung meines Selbst. Was ich denke ist eine Sache, wie ich das tue ist eine andere Sache. Was ich von mir offenbare, "materialisiere" entscheide ich. Das ist die ganze Problematik der Privatheitsdiskussion. Was wir da wollen, ist, dass man die Freiheit behält, dass ich entscheide, was ich von mir preisgeben will. Das ist schwieriger geworden, denn was ich einmal offenbart habe, ist es in der Welt, wie bei allem Materiellen auch und dann weiß ich nicht, was andere damit machen. Diese Debatte ist in vollem Gange. Man will nicht, dass andere vollkommen, ganz entscheiden können, über das, was ich da produziert habe. Also über meine Innovation. In dem Moment, in dem ich meine neue Idee in Form eines Aufsatzes … Das ist nicht die Innovation eigentlichen Sinne, aber es gehört schon dazu. Es ist eine Materialisierung der Idee und der Vermarktung mit Verlagen usw.

Wie wird die nächste große Innovation aussehen?

Schwer zu sagen. Die Tendenz geht zu einer Robotisierung des Menschen in jeder Form. Das wer-sein wird immer mehr zum was-sein. Die Daten bestimmen letzten Endes, wer ich bin. Nur das hat Grenzen und die Anomalien zeigen sich hier schon. Zu "Privacy ist tot" würde ich sagen: "Privacy ist lebendiger denn je". Nur das "wie?" ist die Innovation. Und dann ganz konkret, in dem acatech-Projekt, womit wir uns jetzt befassen, mit Privacy im Internet, eine Frage, die sich stellt. Nun haben wir das alles von den alten Griechen bis jetzt durchgearbeitet, was Privcay ist und zum Schluss kommt die sehr pragmatische Frage "was jetzt?". Ein Teil des Projekts besteht darin, dass man genau so eine Software entwickelt, wo man der Privacy mehr Chancen gibt. Das Problem ist hier wieder, dass man einem Werden-Projekt mit einer technischen Lösung lösen will. Das ist natürlich nur teilweise wahr. Anderes Beispiel: Sollte man Autos jetzt mit diesem Schnickschnack ausrüsten, oder sollte man lieber Fahrradfahren, oder laufen, oder lieber auf die ganzen Neuerungen ganz verzichten? Also, wo steht die Zukunft des Verkehrs? Wenn man an die verstopften Straßen überall auf der Welt anguckt. Es hat lange gedauert, bis wir eingesehen haben, dass das nicht so geht. Wie bei der Kernenergie, da hat es auch 30-40 Jahre gedauert, bis es erst 2 Krachs gegeben hat, bis die Politiker eingesehen haben, dass es so nicht weiter geht. Also brauchen wir einen GAU, in der digitalen Welt um aufzuwachen? Im Moment sind wir alle in einem Zustand, bisschen "es geht uns gut, wir können das und jenes nochmal machen" - und wir sind fast schlafwandlerisch. Wie im Verkehr, wo wir die Straßen nur neu betonieren. Im Grunde genommen ist das Problem grundsätzlich, nicht dass die Straßen nicht besser werden, sondern dass wir immer mehr Verkehr haben. Und das dauert sehr lange, schon wegen der technischen und ökonomischen Bedingungen und weil sich die Leute daran gewöhnt haben, an die Vorteile des Individualverkehrs. Es ist sehr schwer, wohin die Privacydebatte führen wird. Also, was für Ideen, Erfindungen, als auch Innovationen führen wird. Sowohl in der Hardware, als auch in der Software. Das ist eine harte Sache. Wenn Sie die Privacy zu sehr betonen, sagt das Marketing “nee”. Es ist sehr komplex, was die Leute für sich behalten wollen und was sie einander mitteilen wollen. Es ist kulturell sehr unterschiedlich, auch die Formen, die Arten und Weisen, wie sie das tun. In den westlichen Ländern geht es darum, das Gesicht zu wahren. Es ist "Face"book. Es ist eine grundsätzliche, ethische Haltung in einer Gewohnheit in Fernost. Bei uns spielt das kaum eine Rolle. Bei uns kann man sagen "du bist ein Idiot" und das macht kaum was aus.

Wird Privacy wichtiger und mehr werden wird?

Ja, ich denke, es wird wichtiger, dass ich selbst bestimme, was ich preisgebe. In welchem Kontext auch immer, auch im Politischen oder im Austausch von Dateien. Ich denke schon, dass es politische auch ein großes Thema ist. Denken Sie an den Austausch von Daten, wie dem Austausch von Daten von Fluggastdaten. Man merkt schon, dass ist nicht nur individuell, sondern auch national und international unglaubliche Spannungen, die da stattfinden, weil wir hier rechtliche Bestimmungen haben, unsere Gewohnheiten und unser Ethos in Europa. Und das passt nicht zu den Amerikanern, weil die ganz andere politische Vorgaben haben. Also entsteht eine Diskussion - über Jahre zum Teil. Die wollen ihre Sicherheit haben und wir wollen auch unsere Rechte behalten. Ich glaube schon, dass das auf hohen Ebene, als auch auf niederer Ebene passiert, auch wenn wir dem gar nicht so viel Wert beimessen, auf unserem Handy. Wenn sie 24 Stunden ihr Handy benutzen, kann das auch sehr negative Folgen haben, auch ökonomisch. Es ist eigentlich eine Freiheitsdebatte, die wir da haben. Das wühlt schon an er Basis "wer sind wir?". Das ist nicht abstrakt, sondern Freiheit im Alltag. Was kann ich entscheiden, was hängt von mir ab, was will ich, wer bin ich. Das hängt alles mit den kleinen tagtäglichen Entscheidungen ab. Werde ich von den anderen angesehen, oder nicht angesehen. Ich glaube, da ist das Gefühl, dass wir nicht kennen. Da sind wir dabei, das zu testen. Wir wissen ja, wenn jemand sehr viel von sich preisgegeben hat, kann das sehr negative Konsequenzen haben - "Vergessen im Internet". Man sieht da wie ein Mosaik. Wenn sie all diese Dinge zusammenstellen, erhalten Sie eine Diagnose - mehr oder weniger - für das, was auf uns zukommt. Es braucht erst eine Diagnose, eine ganze Palette von Anomalien auf Tafeln malen und schauen, was steckt dahinter. Wie sind sie miteinander verbunden? Facebook, Moral, "privacy is dead", Alltag … Ich glaube schon, dass es vor allem eine Privacy-Debatte ist, eine Debatte um die Selbstbestimmung und die Interaktion mit anderen. Und was ich von mir preis geben will und was nicht. Wie spielt sich das ab? In der Vermarktung von Produkten.

Meine Website ist auch so ein Produkt, eingebunden unter dem ganzen technischen Kontext. Ich zeige was von mir. Was will ich damit erreichen? Berühmt werden, Anerkennung. Das ist ja gewissermaßen der Motor dieser Innovation gewesen. Und das wird auch so bleiben, weil jeder von uns das so will. Vielleicht sagen aber auch andere Leute, damit will ich nichts zu tun haben. Das wird immer eine Spannung geben.

Wie bewerten Sie Innovation? Was kostet Sie? Gibt es einen Bewerungsmaßstab?

Bewertung heißt immer ein Wert. Sowohl eine ökonomische, als auch eine ethische Frage. Was ist für mich etwas wert? Der Wert einer Ware hat nicht nur was zu tun mit dem Material und der Arbeit, sondern auch mit dem sozialen Wechselspiel. Bewerte etwas immer im sozialen Kontext, wie andere diese Ware sehen. Der Ursprung des Wertes ist immer das soziale Spiel. Das ist das Problem, was die Ökonomie zum Teil übersehen hat. Sie arbeiten nur auf dem Feld der Ware und nicht auf der Seite des sozialen Wechselspiels. Ob die Ware so und so viel wert ist, hängt immer damit zusammen, wie das soziale Wechselspiel ist. Von daher wäre es wichtig, bei digitalen Ökosystemen zu beobachten, wie bewerten die Leute? Wie ist das soziale Wertungsprozess? Was erwarten die Leute für ein Leben? Wie ist die Seite des Menschen? Die Seite des Subjekts? Wo die Leute sagen "Das finde ich ganz besonders toll", oder "davon halte ich nichts." Das kann sich sehr schnell ändern, von daher ist sehr schwer zu sagen, ob es da einen Maßstab gibt. Die Maßstäbe sind dynamisch, weil wir immer an den Möglichkeiten offen sind. Ich kann sagen "Im Moment finde ich das und jenes wichtig", aber es kann sich immer ändern. Das ist die Problematik der Ökonomie, die mit der Unsicherheit der Informationsdefiziten leben muss, weil die Leute nicht alles preis geben, was sie von diesem oder jenem halten. Ich glaube, die Ökonomie hat sich inzwischen von dem Homo rationales verabschiedet, dass es nicht alles nach festen, rationalen Regeln geht. Die Menschen sind nicht nur rationale Wesen, also nicht nur, sondern die haben Gefühle. Deshalb ist es sehr schwer. Und sie sind einer Zukunft ausgesetzt, die sie nicht beherrschen können. Also, man muss immer sehen, dass das, was heute besonders wertvoll erscheint, in einer Kultur, morgen hinfällig sein kann. Schauen Sie sich Facebook an, da ist der Börsenwert in einer Woche um 30% gesunken. Wie konnte das passieren? Die Wallstreet ist nicht Los Angeles oder San Francisco. An der Wallstreet wollen Leute nur Geld sehen, da geht es nicht nur um gute Ideen. Darauf müssen Manager Rücksicht nehmen: "was wollen die Geldgeber?" Bezogen auf die digitalen Medien, werden wir sehen, wie sich unerwarteterweise Anomalien eintreten können. Bis jetzt haben wir dieses und jenes bewertet und die Aktien von Microsoft oder Google sind stabil - bis jetzt. Wir wissen nicht, was sich da für Veränderungen ergeben und was für neue Bewertungsprozessen abhängig sind. Ich will damit sagen, dass Werte immer von Bewertungsprozessen abhängig sind. Auch im Sinne von ethischen Werten. Ich will kein totale Relativist sein, der zum Teil bei bestimmten Werten Bewertungen stehen außer Frage. Die lassen wir sogar in unserer Verfassung festhalten, denn eine gewisse Wertstabilität, die wichtig für den Staat ist, lassen wir feststehen. Also da schaffen Sie eine Gewohnheit auch objektiviert, die der ganzen Gesellschaft, die den ganzen labilen Bewertungsprozessen eine gewisse Grundlage gibt. So wie auch für ihr Leben. Wonach ich persönlich lebe. Das kann natürlich für andere ganz anders sein, der eine mag Sport, der andere mag dies … Für mich und mein Leben und meinen Bedingungen. D.h. was sie persönlich bestimmen, können sie im Rahmen einer Gesellschaft oder auch einer Weltgesellschaft sagen. Wir brauchen eine gewisse Stabilität und das haben wir durch verschiedene Deklarationen und Verfassungen, oder Menschenrechte. Warum brauchen wir Menschenrechte, als Deklaration objektiviert? Naja, weil es uns viele Dinge die als selbstverständlich gelten (zumindest für uns, vor 1000 Jahren war das noch nicht so). Wichtige Dinge lassen wir uns erstmal schriftlich geben. Das Recht auf Wasser. Ja, müssen wir *jetzt* in die Deklarartion aufnehmen, denn jetzt ist Wasser sehr wichtig. Vor 100 Jahren vielleicht nicht. Dann wird das erstmal aufgenommen. Damit ist das Problem nicht gelöst, denn sie müssen es interpretieren und anwenden, aber mindestens haben sie ein Anhaltspunkt. Auf der einen Seite einen Bewertungsprozess einen Bewertungsprozess, der immer labil bleibt, auf der anderen Seite eine Stabilität, dessen, was sich in dem Bewertungsprozess bewert hat. Die Sache mit der Privacy war gar nicht so schlecht. Wenn Sie gewisse Rückzugsmöglichkeiten haben, so schlecht ist das nicht. Auch wenn wir das umdeuten müssen, weil die digitale Welt ganz anders ist. Sie sehen ja, auf der einen Seite werden die Dinge stabil, auf der anderen Seite ist die Innovation, die das immer wieder ändern, also anders verstehen. Warum gibt es nur "Menschen"rechte? Haben die Tiere keine Rechte? Nicht die Natur? Naja, die Menschenrechte wurde in den 50er Jahren geschaffen, mit den Schrecken des 2. WK. und das war ganz brutal. Inzwischen haben wir eine Welt die zusammenbricht. Also gelten nicht nur Menschenrechte, sondern auch die Natur und die Ökologie usw. Können wir von Rechten sprechen? Teilweise. Da haben wir einen ganz anderen Kontext. Alle unsere visuellen Begriffe und Gewohnheiten, Texte usw, die uns eine gewisse Stabilität gegeben haben, zeigen gewisse Anomalien in dieser digitalen Welt. Und diese Anomalien sind glaube ich ein Indikator für mögliche Innovationen. Wenn Sie sich fragen, wann kann ich riechen, dass hier eine Innovation kommt, dann schauen Sie mal die Diskussion in der Politik. Die können nicht mehr so bequem leben. Irgendwas stimmt hier nicht. Aha, hier trägt etwas nicht mehr als Basis für das Leben. D.h. wir müssen uns was einfallen lassen. Dann kommt die Idee. Sie sehen etwas, was andere nicht sehen. Sie müssen ein Gespür entwickeln, weil meistens erzeugen die Dinge erstmal Angst. Die Leute werden sich abgewöhnen, sich damit zu befassen. Das bringt nur Probleme. Der Boden wird entzogen, es verändert sich. Wenn sie dies weiterentwickeln, dann können sie sagen, jetzt ist es ok, jetzt habe ich gesehen, was kommt. Dann kommt die Innovation und der Markt, der das umsetzt. Das ist in dem Moment, wo Google fragt, "was würden sie empfehlen, was würden Sie empfehlen, welchen Knopf müssen wir drücken, damit die Leute mehr Freiheit haben". Allgemein kann ich das sagen, aber entwickeln kann ich das nicht, ich bin kein Informaitker. Und dann baut Google ein Prototyp. Wenn sich das gut verkauft, ist es gut für Google und vielleicht für uns auch.

Autoren
Gordon Süß
Sebastian Haselbeck
Gordon Süß
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