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Idee und Struktur der polyzentrischen Internet Governance

Idee und Struktur der polyzentrischen Internet Governance

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Max Senges, Linda Walter

Die traditionellen Governanceinstrumente (spez. Gesetze, Regulierung) hinken den sich in rasantem Tempo weiterentwickelnden Techniken und Praktiken in digitalen Welt stets hinterher. Das globale, hyper-komplexe Wesen der vernetzen sozio-technischen OnlineSphäre ermöglicht und erzwingt die Beteiligung aller Akteuren (Betreiber, User und Regierungen) in einem kontinuierlichen Steuerungsprozess Herausforderungen zu erkennen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln und umzusetzen. Um der Vielfalt der Anwendungen und einen Wettbewerb unter ähnlichen Diensteanbietern zu befördern, scheint der in den letzten Jahren verstärkt diskutierte Ansatz der polyzentrischen Governance besonders geeignet.

Um polyzentrische Internet Governance zu definieren bietet sich eine Kombination aus den bereits existierenden Definitionen von Internet Governance und polycentric Governance an: Dafür soll einmal auf die während des Weltgipfels für die Informationsgesellschaft 2005 Definition von Internet Governance von der Working Group on Internet Governance (WGIG) zurückgegriffen werden.

“Internet Governance ist die Entwicklung und Anwendung durch Regierungen, den Privatsektor und die Zivilgesellschaft, in ihren jeweiligen Rollen, von gemeinsamen Prinzipien, Normen, Regeln, Vorgehensweisen zur Entscheidungsfindung und Programmen, die die Weiterentwicklung und die Nutzung des Internets beeinflussen.“ [1]

Diese soll mit der von Elinor Ostrom, Wirtschaftsnobelpreisträgerin, entwickelte Definition von polzyentrischer Governance verbunden werden:

“Polyzentrische Governance bezeichnet das Vorhandensein von vielen, formal voneinander unabhängigen Zentren der Entscheidungsfindung, die sich aufeinander sowie auf zentrale Institutionen oder Konfliktlösungsmechanismen beziehen können." [2]

Daraus ergibt sich folgende Definition:

Polyzentrische Internet Governance bedeutet, dass viele, formal voneinander unabhängige Akteure aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, sich aufeinander beziehen und im Rahmen einer zentralen Institution gemeinsam an der Entwicklung und Anwendung von Prinzipien und Vorgehensweisen zur Entscheidungsfindung arbeiten, die die Weiterentwicklung und die Nutzung des Cyberspace beeinflussen.


Um einen solchen Ansatz im digitalen Ökosystem zum funktionieren zu bringen, muss der Spielraum für alle Stakeholder definiert werden in dem dann alle Akteure stets im Gespräch miteinander sind. Die Stakeholder könnnen grob in drei Gruppen eingeteilt werden:

1) Zivilgesellschaft

Der Internetnutzer ist die kleinste aber zentralste Einheit. Das Internet ist von Menschen für Menschen gemacht und soll primär für den Menschen einen Mehrwert bringen.

Der Nutzer muss mitbestimmen können

  • bei policy development Prozessen (PDP) in staatlichen und privatwirtschaftlichen Institutionen. So sollten beispielsweise Nutzer von großen Internetnetzwerken, in denen sie faktisch durch ihre Partizipation das Material zur wirtschaftlichen Verwertung bereitstellen und damit zu Mitarbeitern werden, genauso Mitspracherecht haben, wie es Mitarbeiter in großen Konzernen haben.
  • durch gesellschaftliches Engagement, indem er direkt an international stattfindenden Entscheidungsfindungsprozessen im Rahmen einer zentralen Organisation mitarbeiten und seine Vorstellungen einbringen kann.

Es ist seine Aufgabe für seine Ziele einzustehen und so die soziale Gerechtigkeit und den Wohlstand zu vergrößern.

2) Wirtschaft

Auf dem Weltmarkt - und damit auch im Internet - produziert und organisiert die Privatwirtschaft alle Konsumgüter und Serviceleistungen. Sie setzen sich für ihre Interessen ein und haben aufgrund ihrer Stellung eine starke Stimme. Doch sie produzieren nicht zum Selbstzweck sondern für den Nutzer

Ihre Aufgabe muss es folglich sein, dem Internetnutzer Dienstleistungen und eine Infrastruktur anzubieten, die es ihm ermöglicht, seine Rechte wahrzunehmen und einen Mehrwehrt für die Gesellschaft zu generieren.

3) Politik

Auf nationaler Ebene muss die Regierung, als gewählte Interessenvertretung des Volkes zwischen den Interessen der Nutzer und der Firmen, die den Rahmen für das Internet vorgeben, vermitteln und somit eine Art Moderator bilden. Sie zeichnet verantwortlich für das öffentliche Interesse, schützt die unveräußerlichen Rechte des Einzelnen und setzt den rechtlich verbindlichen Rahmen.

Auf internationaler Eben ist es die Aufgabe der supranationalen Organisationen - unter Wahrung des unterschiedlichen kulturellen Erbes - eine Harmonisierung herbeizuführen und über zukünftige Herausforderungen und Möglichkeiten nachzudenken.

Um die unterschiedlichen Interessen zu koordinieren und die Möglichkeit eines Austausches auf Augenhöhe zu ermöglichen, bedarf es zumindest einer zentralen Organisation, die es den unterschiedlichen Stakeholdern ermöglicht, zukünftige Probleme frühzeitig zu erkennen und auf sie zu reagieren. Dieser Input soll in die jeweiligen Gruppierungen zurückgespielt werden und dort zu Entscheidungen führen, die für alle von Vorteil sind. Diese Aufgaben können auch - wie von Wolfgang Kleinwächter als "Multilayer Multiplayerr Mechanism - M3" [3] vorgeschlägt - von mehreren Organisationen übernommen werden.


Es existieren bereits Organisationen, die eben diesen multistakeholder Ansatz verfolgen. Hier einige Beispiele:

1) ISOC [4]

Die Internet Society (ISOC) ist die älteste der drei Organisationen. Sie wurde bereits 1992 gegründet, um die Pflege und Weiterentwicklung der Internetinfrastruktur zu sichern. Die Mitgliedschaft steht jedem frei, der sich für die weitere Entwicklung des Internets engagieren will. Dabei sind sowohl Organisationen als auch Einzelpersonen Mitglieder.

2) ICANN [5]

Die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) wurde im Herbst 1998 von der US-Regierung sowie unterschiedlichen Interessensverbänden aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Technik gegründet. Faktisch regelegt die ICANN viele technische Vorgaben im Internet - sie ist beispielsweise für die Verwaltung von Top-Level-Domains verantwortlich.

Ursprünglich wurden die Hälfte der Stimmen im Direktorium der ICANN Internetnutzern zugesprochen. Deren Mitspracherecht wurde jedoch in den letzten Jahren, insbesondere nach 2001 deutlich reduziert.

3) IGF [6]

Das jüngste und gleichzeitig am nächsten an der beschriebenen Grundidee von polyzentrischer Internet Governance dranliegende Konzept legt das Internet Governance Forum (IGF) vor. 2006 im Rahmen des Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) der UNO gegründet, versteht sich das IGF als Diskussionplattform für Themen der Internet Governance. Dabei soll Stakeholdern aus internationalen Organisationen, Staaten, der Zivilgesellschaft sowie der Wirtschaft die Möglichkeit des Austauschs geboten werden. Ziel ist es nicht, bindenden Beschlüsse zu verabschieden, sondern durch offene Diskussion relevante (zukünftige) Themen zu identifizieren und gemeinsam über einen sinnvollen Umgang mit diesen Themen zu sprechen. Idealer weise führt dieser Austausch dann in den jeweiligen Entscheidungszentren zu sinnvollen Regelungen.

Wie sich der IGF mittelfristig entwickeln sollte, hat Wolfgang Kleinwächter in dem Artikel "Developments in IGF, ICANN and WSIS" herausgestellt.


Mit dem innovativen Konzept der polyzentrischen Internet Governance ergibt sich somit für alle relevanten Akteure die Möglichkeit, stets flexibel und im ständigen Austausch die sich laufend ändernden Anforderungen für die Regelung des Internets proaktiv zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Der Prozess ist transparent und ermöglicht allen Gruppen aktive Teilnahme.

Autor
Linda Walter
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