Netz und Nationalstaat

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Wie das Internet Grenzen unserer Gesellschaft überschreitet und damit bestehende Strukturen in Politik und Recht an ihre Grenzen stoßen. Eine Einführung in das Spannungsverhältnis zwischen globalem Netz und lokalem Recht. Autoren: Jan Mönikes, Sebastian Haselbeck

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Tags: Recht / Politik / Nationalstaat / Regulierung / Gesetze / Demokratie


Das Internet verändert nicht nur unsere Art zu arbeiten, zu kommunizieren und zu leben. Es entsteht auch ein neuer Raum für Recht und Politik: Je mehr soziale Funktionen ins Internet verlagert werden und unsere Welt dabei vernetzt und beeinflusst wird, umso drängender stellt sich die Frage nach politischem Einfluss und demokratisch legitimierter Regulierung dieses Raums. In Deutschland macht sich in der politischen Debatte erst seit Kurzem die Erkenntnis breit, dass das Internet mehr ist als nur E-Mail oder Online-Shopping. Die seitherigen Vorschläge zur Internetregulierung vermögen daher noch kaum zu überzeugen. Viele politische Initiativen erkennen im Netz vor allem eine Bedrohung, einen "Tatort Internet", ohne jedoch die tatsächlichen Risiken nur annähernd zutreffend zu beschreiben. Andere wiederum überhöhen die vorhandenen partizipatorischen Chancen des Netzes in einer idealisierenden Weise, die bestenfalls politisch naiv ist. Dieser Überblick will daher in die grundsätzliche Herausforderung einführen, die das Internet für Politik und Recht, Demokratie und Staat bedeutet, um das notwendige Verständnis für die weitere Debatte herzustellen.

Inhaltsverzeichnis

Die »Entmächtigung des Nationalstaates« 

Auch wenn nicht jeder Nationalstaat demokratisch sein muss, haben sich historisch die Territorialstaaten als Voraussetzung für Demokratie erwiesen. Das Internet jedoch ist seiner technischen Struktur nach nicht auf territoriale Grenzen angewiesen, sondern verhält sich grenzüberschreitend. Der Fluss der Daten orientiert sich an ökonomischen, nicht an überkommenen nationalstaatlichen Grenzen. Zugleich verliert im Digitalen alles, was rechtlich auf Körperlichkeit und Ortsbezogenheit beruht, seinen zwangsläufigen Anknüpfungspunkt. Mit Cloud Computing↗ lässt sich selbst der Ort der Datenverarbeitung nicht mehr ohne weiteres bestimmen. Der Prozess der "Globalisierung" - das Zusammenrücken von Menschen, Märkten und Strukturen weltweit - erfährt daher durch seine "jüngere Schwester" Internet weitere Dynamik und beschleunigt die "Entmächtigung des Nationalstaates" [1]. Normen und Recht können durch Parlamente, Regierungen und Gerichte in der globalen Informationsgesellschaft weiterhin (auch allein im nationalstaatlichen Raum) gesetzt werden. Währenddessen schwindet im Internet jedoch die Sicherheit der Rechtserkenntnis und der Rechtsdurchsetzung, selbst bei eigentlich rein innerstaatlichen Tatbeständen. Das liegt einerseits an "hausgemachten" Problemen, bei denen bereits durch Anpassungen des nationalen Rechts Verbesserungen erreicht werden könnten. Aber es gibt eben andererseits auch nationalrechtlich nicht befriedigend lösbare Kollisionen gegensätzlicher Rechtsnormen, selbst dann, wenn diese nicht zwangsläufig auf unterschiedlichen normativen Wertungen beruhen. Wenn beispielsweise nach deutschem Recht nicht der Nutzer, sondern der Provider für die Verbreitung einer diffamierenden Äußerung im Internet verantwortlich ist und diese löschen muss, in den USA aber genau umgekehrt der User und nicht der Provider Verantwortung trägt, kann der Betroffene selbst dann praktisch rechtlos sein, wenn die Löschpflicht an sich in beiden Ländern unstreitig besteht [2]. Hierdurch können - überall, wo Daten im Spiel sind - selbst völlig ungewollt im Internet Bereiche entstehen, in denen keine Durchsetzung rechtsstaatlichen Rechts mehr sicher gewährleistet werden kann. Das aber stellt die Wirksamkeit von (nationalem) Staat und (demokratischer) Politik insgesamt in Frage. Zudem verlangt der "Code" (also die technische Basis des Netzes, die vorgibt, was überhaupt möglich ist) als neue Dimension der Regulierung von Politik und Staat, sich zusätzlich zum Recht auf "Technikgestaltung" als zusätzliches Regelungsinstrument einzulassen (Stichwort: "code is law" - die Beschaffenheit der Informationstechnik oder der Software gibt die Richtung vor), ohne jedoch unmittelbaren Einfluss darauf zu haben. Die Durchsetzung von Recht und (nationalstaatlicher) Ordnung allein auf traditionellen Wegen, durch Gesetze und Gerichtsurteile, erweist sich dagegen als schwierig. Demokratie und Rechtsstaat aber brauchen Instrumente, politische Entscheidungen auch in die Tat umzusetzen - gegebenenfalls auch gegen widerstrebende Interessen. Beim Internet auf territoriale Grenzen limitiert zu sein, befriedigt insoweit nicht - weder den Staat und seine Institutionen, noch jene Bürger, die ihre demokratisch gefassten Entscheidungen auch durchgesetzt sehen möchten. Braucht es also so etwas wie eine transnationale Kontrolle des Internets oder im Gegenteil neue Grenzen? Das Internet unterliegt trotz seiner Ausbreitung und Relevanz weder einer zentralen technischen noch einer einheitlichen staatlichen Kontrolle. Es erscheint frei und unregulierbar. Aber, wie Lawrence Lessig, Rechtsprofessor an der Harvard Universität, feststellt, ist das nicht zwingend so: "Es liegt nicht in der Natur des Cyberspace, unregulierbar zu sein, weil der Cyberspace keine Natur hat. Er besteht nur aus Code - die Software und Hardware macht den Cyberspace zu dem, was er ist. Und die kann man natürlich verändern." [3] Weiter: "Der Cyberspace besitzt die Möglichkeiten, der am umfassendsten regulierte Raum zu sein, den wir jemals gekannt haben. Er hat das Potenzial, die Antithese eines Freiheitsraums zu sein, und wir sind dabei, diese Transformation der Freiheit in Kontrolle zu verschlafen."

Wer reguliert den Code?

Internetregulierung ist heute ein Mosaik verschiedener Foren, Organisationen und etablierter Verfahren, die sich in der Praxis bewährt haben, aber oft nichtstaatlichen Charakter aufweisen. So kümmert sich beispielsweise die Internet Society (ISOC) gemeinsam mit der Internet Engineering Task Force (IETF) und anderen Hütern von technischen Standards um deren Einhaltung durch Aufklärungsarbeit und politische Willensbildung. Die technischen Normen des Internets basieren weitgehend auf sogenannten RFCs, den Requests for Comments, einer Art freiwilliger, kooperativer Regelfindung zwischen Fachleuten. Die Internet Assigned Numbers Authority (IANA) und die ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) kümmern sich um die Organisation des Systems an Internet-Adressen und Domain-Namen. Auf Ebene der UNO setzt das Internet Governance Forum (IGF) das Mandat des World Summit on the Information Society (WSIS) um, den die International Telecommunication Union (ITU) veranstaltet. Die ITU ist dabei das einzige völkerrechtliche Gremium, das sich auf globaler Ebene mit Telekommunikationsfragen beschäftigt. Dazu kommt die World Intellectual Property Organisation (WIPO), ebenfalls im UN-System, die für Fragen des sogenannten geistigen Eigentums zuständig ist. Keines dieser Foren ist alleiniger Herr über das Netz. So wie das Internet sich ständig verändert, ist auch das System von Gremien ständig dabei, sich an die wandelnden Herausforderungen anzupassen. Eine mit staatlichen Institutionen vergleichbare Verbindlichkeit erreichen sie dabei jedoch nicht. Staaten, wie die Bundesrepublik Deutschland, haben sich in der Vergangenheit allerdings auch nur sehr begrenzt an diesen internationalen Gremien und Konferenzen beteiligt. Das ändert sich gerade erst, denn Regierungsvertretern fehlen bislang oft noch Fachkenntnisse sowie klare politische Zielsetzungen.

Wer bestimmt denn dann?

Das Internet ist zwar digital, flüchtig und international. Seine technischen Infrastrukturen sind es jedoch nicht, auch nicht die wesentlichen Akteure. Sie sind nicht prominent, aber doch bekannt. Wegen der Bindung des Netzes an Funk- oder Leitungskapazitäten - also Telekommunikation - dominieren vor allem Akteure aus den Industrienationen, wenn sie sich aktiv am Geschehen beteiligen. Dabei zeichnet sich ein neues Regulierungsschema ab: Der Privatsektor übernimmt die Führungsrolle, und gesellschaftliche Gruppierungen werden zwar beteiligt, ohne jedoch einen signifikanten Einfluss geltend machen zu können. Die Regierungen gewährleisten lediglich die "Führung des Privatsektors", fordern aber keine nachhaltige soziale, rechtsstaatliche oder demokratische Regulierung ein. In einigen Ländern, beispielsweise Iran oder China, versucht dagegen der Staat die Führung zu übernehmen, indem er notfalls Teile des Internets mit technischen Maflnahmen und seinen Machtmitteln zu "re-territorialisieren" versucht. Aber auch in demokratischen Staaten gibt es immer wieder Forderungen, das Internet unter die Kontrolle nationaler Gesetze und Parlamente zu bringen, beispielsweise im Kampf gegen Kinderpornographie oder für mehr Datenschutz.

Globalisierung und Demokratie

Politik kann vielfach innerhalb des nationalen Rahmens nicht mehr umgesetzt werden. In dem Dilemma, wie die Freiheit und Offenheit des Internets mit dem politischen Gestaltungswillen einer Gesellschaft vereinbart werden kann, richten viele den Blick auf größere politische Einheiten und transnationale Regime. Sie sollen einen Ausweg bieten und - möglichst ohne, dass die Kette der demokratischen Legitimation abreißt - die Funktionsverluste des Nationalstaates kompensieren. Als erstes Beispiel einer Demokratie jenseits des Nationalstaates könnte sich uns tendenziell die Europäische Union anbieten. Allerdings ändert die Schaffung größerer politischer Einheiten noch nichts an der grenzüberschreitenden, globalen Natur des Internets und damit der Begrenztheit der Durchsetzung staatlichen Rechts über die Grenzen eines (vergrößerten) Territoriums hinaus. Die Politik wird gegenüber den globalen Märkten also erst "aufholen" können, wenn es auf weitere Sicht gelingt, für so etwas wie eine "Welt-Innenpolitik" eine tragfähige politische Infrastruktur hervorzubringen, die von demokratischen Legitimationsprozessen gleichwohl nicht entkoppelt ist. Politik könnte darauf zielen, das lockere Netz transnationaler Regime enger zu knüpfen und in der Weise zu nutzen, dass der Kurswechsel zu einer Welt-Innenpolitik ohne Weltregierung tatsächlich vollzogen werden könnte. Eine solche Politik müsste unter dem Gesichtspunkt betrieben werden, Harmonisierung statt Gleichschaltung herbeizuführen. Das Fernziel müsste sein, die digitale Spaltung und Schichtung der Weltgesellschaft ohne Beeinträchtigung der kulturellen Eigenart schrittweise zu überwinden.

Das Internet als neuer Raum des Rechts

Für das Internet bedarf es - ähnlich wie vor Jahrhunderten für die Weltmeere - dabei neuer, grundlegender Regeln zum freien Fluss von Informationen zwischen den Völkern. Hierfür gibt es wenige historische Vorbilder: Das moderne Seevölkerrecht fußt auf dem von Hugo Grotius 1609 verbreiteten Gedanken eines offenen, freien Meeres ("mare librum"), das jedoch nicht gänzlich unreguliert sein soll. Für das Internet ist noch lange nicht entschieden, ob sich in vergleichbarer Weise der Gedanke der Freiheit gegenüber dem der Re-Territorialisierung durchsetzen wird und ob sich am Ende wieder eine vermittelnde Position zu etablieren vermag. Ein Beispiel wäre die Anknüpfung an das System der GeoTLDs↗. Innerhalb des Namensraums .de wäre deutsches Recht danach notfalls auch mit technischen Mitteln vollständig durchzusetzen und in .berlin wären darüber hinaus noch landesrechtliche Normen zu beachten. Unter .com oder .int würde man dagegen bewusst den Schutz eines einzelnen nationalen Staates verlassen, sich jedoch auch nicht von ihm einengen lassen. Auch dort aber sollte dann wenigstens noch ein grundlegender, universeller Standard von bestimmten völkerrechtlichen Regeln gelten, die von jedem Land durchzusetzen wären - worauf man sich eben auch im Seevölkerrecht verständigt hat. Will man verbindliche Regeln für das Internet aufstellen, sind dabei jedoch die drei Dimensionen von Regulierung mit ihren je vier möglichen Handlungsfeldern zu beachten. Der bisherige, meist nur zweidimensionale, Ansatz vertraut allein auf Recht und Gesetze, welche die Inhalte im Internet auch über alle Grenzen hinweg regulieren wollen. Das allein kann nicht funktionieren und verursacht nur (ungewollte) Schäden.

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Wie steht es um die Zukunft des offenen Netzes?

Das Internet verändert unsere globale Kommunikation radikal. Alte und neue Akteure sind täglich mit den Herausforderungen einer globalen Informationsgesellschaft konfrontiert, bei der wir alle gleichzeitig auch Nutznießer sind. Die Technik erleichtert den globalen Austausch an Wissen und Daten, aber auch von physischen Gütern. Landesgrenzen spielen für vieles, was wir tagtäglich privat, geschäftlich oder politisch machen können, nur noch eine untergeordnete Rolle. Gleichzeitig bedeutet das globale Internet nicht den Wegfall der bestehenden Grenzen und Strukturen. Es entsteht ein Spannungsverhältnis, das sich nicht kurzfristig auflösen lässt: Innovationen, Wissensaustausch, Teilhabe und globaler Austausch reiben sich mit der Bedrohung bestehender Geschäftsmodelle, neuer Monopole und grenzüberschreitender Kriminalität. Staaten können einfacher als je zuvor Informationen über ihre Bürger erheben, sie überwachen und zensieren. Auf der anderen Seite können Menschen gleichzeitig so leicht wie nie zuvor politischen Protest und Gegenöffentlichkeit organisieren. Das Internet als ein gigantischer Globalisierungstreiber verhält sich dazu neutral: Dort, wo Dienstleistungen oder Unterhaltungsangebote aus rechtlichen, technischen oder kulturellen Gründen regional beschränkt werden sollen, widerspricht das seiner eigentlichen Struktur. Zensur, Sperren und lokale Gesetzgebungen führen zur Zersplitterung des Internets. Nationale oder sonst territorial beschränkte, "balkanisierte" Netze, hätten mit dem offenen Internet von heute nur noch wenig gemein. Das große Potenzial des Internets bliebe so ungenutzt. Besonders in den aktuellen internationalen Debatten um Überwachung, Datenschutz, politische Zensur oder Freihandelsabkommen, bei der rechtlichen Harmonisierung von Regeln und ihrer Durchsetzung zeigt sich, wie wenig gewappnet Politik und Gesellschaft bislang sind, diese Herausforderungen zu meistern. Ebensowenig kommen sie bislang zu konstruktiven Lösungen, die das Internet nicht in seiner Offenheit und Freiheit insgesamt gefährden. Es bedarf daher einer sachlich informierten intensiven Debatte mit technischem Verständnis und pragmatischen Ansätzen im internationalen Dialog, für die bestehende politische Strukturen allein unzureichend sind. Die Zukunft einer freien Informationsgesellschaft steht auf dem Spiel. Politik und Zivilgesellschaft müssen sich dazu stärker mit Fragen beschäftigen, die bisher nur in Nischen wahrgenommen wurden. "Netzpolitik" muss auch in der breiten Öffentlichkeit stärker als Gesellschaftspolitik wahrgenommen werden. Denn die Bewältigung globaler Herausforderungen, die mit dem Internet zu tun haben, darf nicht zu Lasten von Demokratie und Rechtstaatlichkeit, freier Meinungsäußerung und anderen Menschenrechten wie der freien privaten wirtschaftlichen und kulturellen Entfaltung gehen. Daher kommt insbesondere der konkreten Gestaltung internationaler, grenzüberschreitender Abkommen eine besondere Bedeutung für die Freiheit des Internets zu. ◊

  1. Vgl. Habermas, Jürgen, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie. http://library.fes.de/pdf-files/akademie/online/50332.pdf
  2. Vgl. Mönikes, Jan, Wiki-Immunity: Durchsetzbarkeit von äußerungsrechtlichen Urteilen gegen Wikipedia. http://moenikes.de/ITC/2010/05/06/wiki-immunity-durchsetzbarkeit-von-auserungsrechtlichen- urteilen-gegen-wikipedia/
  3. Lessig, Lawrence, (1999): Code and Other Laws of Cyberspace. New York: Basic Books.


Dieser Artikel entstand im Rahmen der 9. Initiative Globalisierung und Internet und erschien im Magazin Globalisierung im Schatten der Überwachung. Jan Mönikes ist Rechtsanwalt bei Schalast & Partner sowie Vizepräsident von ISOC Germany. Sebastian Haselbeck ist Geschäftsführer des Collaboratory e.V.

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Autoren dieses Artikels
Sebastian Haselbeck
Mona vom Endt
Sebastian Haselbeck
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